erschienen in KGS Berlin, März 2016
30 Menschen stehen im Kreis. Sie alle sind einen langen Weg mit mir im Rahmen meiner Ausbildung gegangen. Untereinander haben sie durch die gemeinsamen Erfahrungen Vertrauen und Nähe entwickelt.
Ich stelle ihnen folgende Fragen: „Was fällt dir schwer an dir zu mögen und zu akzeptieren? Womit bist du innerlich im Kampf?“ Einer nach dem anderen antwortet: „Mit meiner Nase … meinem Gewicht … meiner Figur … meinen nicht mehr vorhandenen Haaren … meinem Aussehen … usw.“ Ich bin berührt über die Offenheit und Aufrichtigkeit.
Meine nächste Frage ist: „Und was ist deine größte Angst in einer Liebes-Beziehung?“
„Angst, abgelehnt zu werden … ausgelacht zu werden … nicht verstanden zu werden … verraten zu werden … ignoriert zu werden … nicht um meiner selbst willen geliebt zu werden … nicht in meinem wirklichen Wesen verstanden zu werden … benutzt und dann fallengelassen zu werden.“
Alle im Raum sind gerührt und betroffen über die Tiefe und Wahrhaftigkeit, mit der die Anwesenden gesprochen haben. Es ist offensichtlich, wie sehr wir alle Anteile in uns haben, die uns glauben machen, nicht liebenswert, nicht zumutbar und nicht gut genug zu sein. Eine Teilnehmerin nennt das Ankämpfen gegen diese Anteile den lebenslangen „Binnen-Druck“, den „Kampf, gut genug zu sein.“ In den Gesichtern der Menschen sehe ich, wie sehr sie allen aus der Seele spricht.
Liebe zum Wesen statt zur romantischen Projektion
Durch mein ganzes Leben, und in der Arbeit mit vielen tausend Menschen, ist mir diese Wunde in uns Menschen auf vielen Arten begegnet. Selbst die schönsten und erfolgreichsten Menschen kämpfen diesen Kampf – uns so zu lieben, wie wir sind, scheint eine grundlegende Lektion eines Menschenlebens zu sein. Deshalb steht das Erlernen einer tiefen, bedingungslosen Selbst-Liebe im Mittelpunkt meiner Arbeit. Denn wenn diese Selbst-Liebe „wacklig und brüchig“ ist – bei den meisten Menschen ist das so – dann tragen wir diese Unsicherheiten und Ängste in unsere Beziehungen hinein und projezieren sie auf unser Gegenüber. So kommt es immer wieder zu Missverständnissen, Störungen und Irritationen.
Die tiefe, praktizierte Selbst-Liebe ermöglicht uns, hundertprozentige Verantwortung für unsere Gedanken, Gefühle, Worte und Handlungen zu übernehmen. Erst dadurch wird es möglich, sehr klar den Rahmen zu betrachten, in dem sich fast alle Beziehungen in unserer westlichen Kultur abspielen: Sie folgen mehr oder weniger dem Modell des romantischen Mythos.
Wir alle haben diesen wie mit der Muttermilch aufgesogen. Er lässt uns glauben, dass wir die verlorene Ganzheit in der Liebe zu einem anderen Menschen wiederfinden können. Unzählige Romane, Fernsehserien, Schlager und Songs künden von der romantischen Liebe: „You can make me whole again, baby, you are the only one.“
Die romantische Liebe ist an sich nicht schlecht, sie enttäuscht uns nur immer und immer wieder. Ihr Symbol ist das Herz, durch das sich ein Pfeil bohrt: Die Kopplung von Liebe und Schmerz!
Gelten in der romantischen Liebe unsere entflammten Gefühle der überhöhten, romantischen Projektion, die wir auf unser Gegenüber richten, so gelten in der bewussten Liebe unsere Gefühle dem wirklichen Wesen unseres Partners. So kann aus der Liebe von romantischer Projektion zu romantischer Projektion die Liebe von Wesen zu Wesen werden. Wichtig ist auch, dass wir unser Liebes-Gefühl immer wieder bekräftigen und es durch viele schöne kleine und große gemeinsame Erlebnisse immer weiter vertiefen. So lernen wir die Liebe aus dem Kontext von Drama und der Wiederholung unserer Vergangenheit herauszulösen und eine wirkliche Beziehung zum Wesenskern der Liebe in unserem Partner zu haben. Dabei ist die Bereitschaft zur klaren und eindeutigen Bindung elementar.
Der „Heilungs-Pakt“
Für eine gelingende Beziehung ist es essenziell, dass die beiden Liebenden einen „Heilungs-Pakt“ schließen. Der „Heilungs-Pakt“ beinhaltet kristallklar die Haltung: „Je näher sich zwei Liebende kommen, umso wahrscheinlicher ist es, dass auch die tiefsten Schichten unserer Schmerzen und Verwundungen berührt werden. Es gilt dabei zu verstehen, dass unserer Partner der Auslöser ist und nicht die Ursache. Die Ursachen liegen immer weiter zurück, nämlich in unseren früheren Liebes-Beziehungen und in unserer Beziehung zu unseren Eltern.
Durch diesen „Heilungs-Pakt“ verhindern sie – wie es bei fast allen romantischen Liebes-Beziehungen immer geschieht –, dass sich das Ungeheilte auf unser Gegenüber überträgt und damit gegen ihn/sie richtet. So schaffen wir „entmilitarisierte Zonen“ und dort, wo früher allerlei „Tretminen“, „Fettnäpfchen“ und Empfindlichkeiten lauerten, entsteht Raum für wirkliche Begegnung im Hier und Jetzt.
Diesen Schmerz nicht mehr auf unseren Partner zu übertragen, eröffnet die Chance zu einer bewussten, erfüllenden Liebe von Wesen zu Wesen. Das ist es, was alle Menschen in Wahrheit suchen – nur wird ihnen selten nahegebracht, wie dies gelingen kann.
Gewaltfreie Kommunikation
Der nächste Schritt auf dem Weg der Liebe ist die Praxis der gewaltfreien Kommunikation: radikal zu lernen, alle Angriffe, Beschuldigungen und Drohungen gegen unseren Partner zu unterlassen, wenn unser alter Schmerz berührt wird.
Dadurch wird es möglich, unsere wirklichen Bedürfnisse zu fühlen und zu zeigen – dies schafft eine enorme Intimität. Wir erleben, wie verletzlich wir selbst und alle Menschen sind. Wir beginnen zu erkennen, wie kostbar unser Partner ist, und jedes Mal, wenn wir uns wirklich zeigen und offenbaren, wird die Liebe tiefer.
In der bewussten Verbindung von Bewusstheit, Liebe und Sexualität sind die existenziellen Weisheiten des Lebens verborgen. Wir können natürlich – vor allem in der heißen Verliebtheits-Phase – Sex haben, der sich „nur“ im Becken abspielt. Doch früher oder später wird es nötig, die tieferen Geheimnisse des sexuellen Liebens zu entdecken. Sonst schläft die Sexualität eines Paares allmählich ein und wird nur allzu leicht begraben unter den Alltagsthemen unserer Existenz, unsere Arbeit, der Kinder usw.
Gradmesser unserer Reife
Eine Liebes-Beziehung spiegelt uns sehr genau den Grad unserer Reife und das Maß unserer spirituellen Verwirklichung – sie bringt alles ans Licht: Unsere schönsten, leuchtenden Seiten und unsere tiefsten Ängste und Abgründe. Was sind also die wesentlichen Inhalte, die für das Gelingen und das Glück in unseren Beziehungen entscheidend sind?
Erstens: Eine innige Selbst-Liebe und die Erkenntnis, dass wir einen anderen Menschen nur so tief lieben können, wie wir uns selbst lieben.
Zweitens: Die Bereitschaft, unsere Beziehungsmuster und Ängste anzuschauen, zu heilen und hinter uns zu lassen und die Beziehung als kraftvolle Heilungs-Möglichkeit zu begreifen.
Drittens: Eine Form der gewaltfreien Kommunikation zu erlernen, die es radikal praktiziert vom eigenen Erleben zu sprechen, ohne unseren Partner zu beschuldigen oder anzugreifen.
Viertens: Zu verstehen, dass der Sexualität auf der Erde vor langer Zeit die Seele geraubt wurde. Sexualität war in vielen alten Kulturen die Rückverbindung mit dem Urgrund des Seins. Mit Liebe und Bewusstheit gelebt kann sie uns heilende, heilige und glückselige Erfahrungen schenken.
Fünftens: Klar zu erkennen, dass viele Beziehungen in unserer Kultur sich nur auf die romantische Projektion beziehen, die wir auf unseren Partner richten. Deshalb sind wir immer wieder enttäuscht, wenn die romantische Projektion nachlässt. Es ist für das Glück in unseren Beziehungen entscheidend, Beziehungen von Wesen zu Wesen zu führen.
Sechstens: Eine Beziehungs-Kultur zu erschaffen voller schöner, sinnvoller und beglückender Erfahrungen für beide.
Und siebtens: Eine gemeinsame Spiritualität zu praktizieren, die der Beziehung eine größere Ausrichtung gibt und die Verbundenheit mit dem Geschenk und dem Wunder des Lebens stärkt und bekräftigt.
Der Riss, der durch jeden Menschen auf der Erde geht – ein Teil in uns vertraut auf die Liebe und der andere folgt der Angst – ist nur in jedem einzeln Menschen zu heilen. Nur der unerschütterliche Kontakt mit dem Wesenskern der Liebe in uns ermöglicht in unseren Beziehungen, unserer Gesellschaft und auf der Erde wirkliche Lösungen, wirklichen Frieden und wirkliches Glück!
Der Autor Frank Fiess ist Dipl-om-Pädagoge, Heilpraktiker für Psychotherapie, Tantra-, Yoga-, Feuerlauf-Lehrer und Therapeut für Integrative Körperpsychotherapie.
Er ist Herausgeber div. DVDs und Autor des im Verlag Simon & Leutner erschienenen Buchs „Du bist der Mann Deines Lebens!“.
Frank Fiess ist Initiator des Erfolgsprojekts „Liebe – Lebenskunst – Erfolg“.